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# 81 UPDATE - KALENDERWOCHE 46/2015

 

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KOLLEKTION: ´unknown I´ #4

Krefeld - Oppumer Straße
Krefeld - Oppumer Straße

Interessanter Reisebericht eines Bekannten von der griechischen Insel Kos



Hamburg/Kos - Einen Monat (Stand 01.10.2015) ist es her, dass ich auf Kos war. Ungefähr dann hörte auch die meiste Berichterstattung über die Insel auf - Ungarns Grenzen rückten in den Vordergrund, Flüchtlinge liefen an einem historischen Tag 23 Kilometer Richtung der Österreicherischen Grenze, Merkel und Faymann schickten Busse, tausende Menschen kamen in München und Salzburg an. Das ist ungefähr zwei Wochen her, die Berichte über die Helfenden ließen die Hoffnung wachsen, Deutschland sei sozialer, fremdenfreundlicher als zumindest ich es angenommen hatte. Mir ist dabei letztlich egal, ob die Leute helfen, weil sie ein Selfie von sich neben den gespendeten Kuscheltieren haben wollen oder weil sie sich moralisch verantwortlich fühlen – ich bin da Pragmatiker, lieber ein Selfie vor Hamburgs Messehallen, als vor der neuen KFC-Filiale im Bochumer Hauptbahnhof.

 

Aber das Klima wechselt wieder in der Bundesrepublik. Merkel hat in meinen Augen die beste Entscheidung ihrer Amtszeit getroffen, sie nahm die Flüchtlinge (oder vielleicht besser: Vertriebenen) auf, ohne größere Einschränkungen, ohne bürokratisches Prozedere. Und sie bekam dafür nur verhalten Applaus. Die Linken trauten sich nicht, die Kanzlerin zu loben und die reaktionäreren Kreise wurden unruhig. Seehofer zeterte und übertrieb wieder einmal seine politische Stellung, De Maizière sah die sinkenden Umfragewerte der Kanzlerin und brachte sich mit Blick auf seine Kanzlerkandidatur rechtzeitig gegen die Politik der Kanzlerin in Stellung, seine größte Konkurrentin Von der Leyen hielt sich insgesamt bedeckt, stellte sich aber zumindest gegen die Kritik der CSU.

 

Und in den Medien wird nun auch vor Kopflosigkeit gewarnt, der moralische Freudentaumel müsse auch mal wieder vorbei sein. Moral, das Wort, welches man benutzt, wenn man Menschlichkeit umgehen will. Aber Menschlichkeit ist nicht zeitlich begrenzt, gerade jetzt nicht. Denn es werden immer noch Menschen gejagt und getötet, es herrscht immer noch Krieg im nahen Osten und die Vertriebenen versuchen noch und werden es auch noch in den nächsten Jahren versuchen, in Europa ein sicheres Leben zu führen. Und in Deutschland wird man wieder panisch. Die Flut, der Strom, der Fluss der Vertriebenen nimmt nicht ab, (jeder Journalist, der die Semantik der Naturkatastrophen aufgreift verdient einen Negativpreis) - wie soll unsere überforderte Gesellschaft das nur verkraften.

 

Die Lage auf Kos

 

Auf Kos treffen Welten sehr anschaulich aufeinander. Im Hafen von Kos liegt an der rechten Seite eine alte, etwas vorgelagerte Festungsanlage, eine ca. 5 Meter hohe Mauer umschließt diesen Komplex. Und wenn man einmal um die Anlage herum gelaufen ist, hat man die beiden Seiten der Medaille gesehen. Man läuft am Hafenkai auf die Festung zu, vorbei an etlichen Restaurants, direkt am Wasser gelegen, nur unterbrochen von Accessoire-Läden und Ticketständen, wo man beispielsweise einen Ausflug mit einem Glasbodenboot buchen kann. Und am Fuße der Festung sieht man dann die ersten Absperrbänder, dahinter die Zelte. Menschen sitzen in ungewaschenen T-Shirts im Schatten, ein Mann schläft auf dem Asphalt, ein Palituch gegen das Licht um den Kopf gebunden. Diejenigen, die keine Zelte haben, schlafen auf Matratzen, die auf der Straße liegen oder haben sich gegen die Festungsmauer gelehnt. Die Hippokrates-Palme unter welcher der griechische Gelehrte, der als der Begründer der wissenschaftlichen Medizin gilt, seine Studenten unterrichtete, ist Luftlinie keine 30 Meter entfernt.

 

Man geht nun um die Mauer herum, im Schatten sitzen die Wartenden, warten auf das Formular, welches ihnen, durch die Menschenrechtskonvention zugesprochen, ein Leben in Würde und Sicherheit verspricht. Im Wasser treiben noch die Schlauchboote und vereinzelte Schwimmwesten, die von einer Überreise erzählen, über die man als Bürger der europäischen Union lieber nicht zu lange nachdenkt, wenn man denn ein Gewissen hat. Aus der Mauer ragt ein Schlauch, zehn Menschen waschen sich abwechselnd, fünf Helfer laufen zielstrebig und plaudernd an mir vorbei.

 

Wieder auf der anderen Festungsseite angekommen sieht man den Hafen, besser - den Yachthafen, die Fußgängerpromenade, die Touristenströme, zu denen natürlich auch ich gehöre, weißes T-Shirt, Kamera, trockener Mund. Bevor die eigentliche Promenade beginnt, liegt ein kleiner Kiesstrand zwischen der Straße und dem Meer. Die Vertriebenen sitzen in der Abendsonne, lassen Kleidung trocknen. Im Wasser spielen zwei Kinder auf Luftmatratzen, an einem Laternenmast hängt tatsächlich das Schild, von welchem DIE ZEIT berichtete: „Helfen Sie uns den Tieren zu helfen“, es geht um streunende Hunde.

 

Vielleicht wird unsere Gesellschaft ihren finanziellen Standard nicht beibehalten können. Es werden immer Menschen nach Europa flüchten, egal wie hoch die Zäune sind, egal wie viele Marineschiffe im Mittelmeer patrouillieren. Und natürlich sind Integrationsprozesse kostspielig, vor allem wenn der Staat angemessene Ansprüche an sich stellt. Das bedeutet, die Gesellschaft muss sich transformieren, der Staat muss umverteilen. Das ist unbequem und hat möglicherweise zur Folge, dass sich Studenten ohne finanzielle Einkünfte keinen Mittelmeerurlaub mehr auf griechischen Inseln leisten können, aber dies scheint mir ein vergleichsweise kleiner, verkraftbarer Preis für Menschenleben zu sein.


Vielen Dank an den Autor!

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